„Du, da vorne ist grün!“ sagt der Mann an der Ampelkreuzung zu seiner Frau, die am Steuer sitzt. Sie antwortet „Fährst Du oder fahre ich?“ Und es geht weiter mit Wortgefechten und gegenseitigen Vorwürfen. Dieses altbekannte Beispiel für misslingende Kommunikation heben zwei prominente Vertreter ihres Fachs, der Kommunikationspsychologe Friedemann Schulz von Thun und der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen, auf eine höhere Makroebene in ihrem neuesten Buch „Die Kunst des Miteinander-Redens. Über den Dialog in Gesellschaft und Politik“.

Das Buch ist als Dialog der beiden Autoren aufgebaut. Den Auftakt mit dem Titel „Dynamik der Polarisierung“ bildet die Beschreibung polarisierender Kommunikation. Von der privaten Streitigkeit um familieninterne Verhaltensregeln bis zur gesellschaftlich kontroversen Auseinandersetzung rund um die Flüchtlingsdebatte. Das zweite Kapitel „Möglichkeiten und Grenzen des Dialogs“ beschäftigt sich mit der Frage, wie spricht man mit jenen, deren Auffassungen einem zuwider sind, die man aus tiefstem Herzen ablehnt. Im dritten Kapitel „Transparenz und Skandal“ zeigen die Autoren wie Transparenz im verminten Feld des Öffentlichen in entwürdigende Bloßstellung und Gesichtsverlust abstürzen kann. Das vierte und letzte Kapitel „Desinformation und Manipulation“ beschreibt, wie Meinungen, Deutungen, Falschmeldungen, Weltverschwörungstheorien in einer vernetzten, hochgradig nervösen Welt entstehen und wie im Angesicht von Katastrophen, Leid und Extremereignissen auf eine angemessene, stimmige und situationsgerechte Weise kommuniziert werden sollte.

Das Buch wurde geschrieben bevor Corona die Welt heimsuchte. Daher ist die öffentliche Corona-Debatte noch kein Thema. Der Leser kann sich aber mit dem Rüstzeug des Buches einer erfolgversprechenden Aufgabe widmen. Das Übertragen der vorgestellten Aspekte und Werkzeuge des Miteinander-Redens und -Streitens auf die aktuelle Corona-Debatte. Was ist rational und empathisch ausgewogen, was Panikmache, was Verharmlosung?

Wer Fertigrezepte für alle Fälle erwartet, für den ist dieses Buch nicht gedacht. Es geht darum, nützliche Denkmodelle und Reflexionswerkzeuge vorzustellen und den Weg zu einer persönlich und situativ stimmigen Kommunikation zu ebnen. Der Leser, sei es als Privatperson, im Arbeitsleben stehend, im politischen Bereich unterwegs oder, um in eigener Sache zu sprechen, im Bereich Mediation tätig, findet in diesem Buch wertvolle Anregungen für sein eigenes Kommunikationsverhalten. Ausgangspunkt, das ist eine zentrale These des Buches, ist ein Minimum an Wertschätzung, wenn man mit dem anderen sprechen will. Verständnis für den anderen entwickeln bei im Zweifel harter Kritik der Position des anderen. Wie das gelingen kann? Dazu empfiehlt sich die Lektüre dieses verständlich, fokussiert und spannend geschriebenen Buches. Es lohnt sich.

Dietmar Geiler


„Die Kunst des Miteinander-Redens. Über den Dialog in Gesellschaft und Politik“, Bernhard Pörksen und Friedemann Schulz von Thun, Auflage 2020, Carl Hanser Verlag

Gelingende Kommunikation in kritischen Situationen

zertifizierter Wirtschaftsmediator (IHK) mit Schwerpunkt Innerbetriebliche Konflikte - Gründungsmitglied von Mediation & Wirtschaft e.V.